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Kolumne: "Coming Home"

Ad vocem

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Mit dem Dialekt ist es so eine Sache. Er ist reich und sparsam zugleich. Voller Fülle ist sein Vokabular für genau jene Zustände und Mitteilungen, die am jeweiligen Ort ausgedrückt werden sollen. Und in seiner Kürze bringt es die Mundart bisweilen zu ökonomischer Meisterschaft: ‘s isch, wie’s isch.

Im Landkreis Dillingen leben wir in einer an sprachlichen Varietäten – so bezeichnet das die Sprachwissenschaft – ausgesprochen reichen Region. Die Abwechslung von Hoch- und Umgangssprache wird hier intensiv von verschiedenen Regiolekten überlagert, die bayerisch, württembergisch, allgäuerisch, lechrainisch und fränkisch geprägt sind. Das Jenische macht unsere Sprache noch um weitere Ausdrücke reicher. Oder das Kauderwelsch perfekt?

In einer immer mobileren Gesellschaft hat es der Dialekt zunehmend schwer. Schließlich braucht eine gemeinsame Sprache auch gemeinsame Sprecher – und nicht selten wird anderorts der eigene Zungenschlag nicht nur zum Beleg von Fremdheit, sondern zum Ausweis von Rückständigkeit. Das ist, imfall, Bullshit.

Es gibt starke Hinweise darauf, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, kreativer, empathischer und verständiger sind. Das ist ein echtes Plus im Global Village, würde ich sagen. „Schwätzat mehr Schwäbisch!“ wäre an dieser Stelle aber ein allzu billiger Rat und ein frommer Wunsch, siehe oben: Mobilität.

Vielmehr möchte ich dafür werben, lustvoll Begriffe zu importieren und syntaktische Experimente zu wagen. Aus Freude an der Schönheit der Sprache, aber auch, um mögliche Anker für Verbundenheit zu entdecken, die sich unter der Decke der Hochsprache huereguat verstecken können.

Dabei kann sich auch eine ganz neue Beziehungsebene auftun. Zu den Dingen, wenn man das Fahrrad, es Velo, nicht verstaut, sondern versorgt.

Und natürlich auch zu den Menschen.  Denn auf einer Party begrüßt zu werden, ist kaum wärmer und herzlicher vorstellbar als mit dem Schweizerischen: „Schön, bist du hier.“

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Von Treibhaus und Treibstoff

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„Was würdest du tun, wenn du einen Raum hättest?“, fragten wir vor zwei Jahren die Bürgerinnen und Bürger in Konstanz und Umgebung. Als kleine Gruppe von Idealisten und Pragmatikerinnen hatten wir uns den ersten „Pop-up Space“ in der größten Stadt am Bodensee in den Kopf gesetzt. Beinahe bedingungslosen Freiraum für Kunst, Hobbies, Start-ups, Gemeinschaft und vieles, vieles mehr anzubieten, war unser Ziel. Auf 1.000 Quadratmeter in einem leerstehenden Bürogebäude konnten wir diese Idee schließlich vier Monate lang umsetzen.

Neben zwölf dauerhaft genutzten Räumen gab es im „Treibhaus“ zahlreiche Workshops, Filmvorführungen, Diskussionen, Versammlungen von politischen Parteien und Initiativen, Konzerte, Lesungen, Yogastunden sowie Foto- und Gemäldeausstellungen. Es war ein großartiges Gewusel und eine immerwährende Improvisation. Ich zehre bis heute von diesen Erfahrungen und Erlebnissen, die sich ergaben, weil man Mangelware niederschwellig zur Verfügung stellte: Fläche, um sich persönlich und gemeinschaftlich auszudrücken und auszuprobieren.

„Was würdest du tun, wenn du einen Raum hättest?“, klänge in Dillinger Ohren, wenn nicht absurd, so doch weit weniger anziehend als im urbanen Raum, denke ich mir heute, wenn ich mich frage, wie man schlummernde Leidenschaften in meiner neuen alten Heimat wecken könnte. Raum und Räume haben wir hier ja mehr als genug. Was wäre also eine äquivalente Frage für uns Landbewohner? „Was würdest du tun, wenn ein Theater mit dem Fahrrad erreichbar wäre?“ „Was würdest du tun, wenn es in deinem Ort eine Sterneküche gäbe?“ „Was würdest du tun, wenn es einen ÖPNV gäbe?“ 😉

Das ist natürlich arg von der Stadt her gedacht. Deshalb versuche ich es etwas introspektiver: Wenn ich beobachte, wonach sich das Ländliche sehnt, fallen mir aktuell zunächst Glasfaseranbindung und niedrige Spritpreise ein.

Was auf den ersten Blick so unterschiedlich scheint – Kultur und Mobilität – hat ein gemeinsames Drittes:  diese Dinge bringen „Welt“ in Reichweite, können uns in eine Beziehung zur Welt stellen, die der Soziologe Hartmut Rosa eine „sprechende“ nennt, wenn es sich um „Resonanz“ handelt. Darum geht es also.

Mit Glasfaser, Streaming und Online-Shopping kann man in Bezug auf kulturelle und kulinarische Resonanzerlebnisse auf dem Land schon sehr weit kommen. Für die echte Begegnung, das sinnenvolle Miteinander, das hier in Vereinen so wunderbar gepflegt wird, braucht man aber – bis es einen echten ÖPNV gibt – den günstigen Treibstoff.

Beitragsbild: © Ramona Gastl – Film and Photography im Treibhaus/Konstanz bei der Vernissage von Hanna Bayer und Julian Klein. >> Mehr Bilder

Literaturtipp:

Hartmut Rosa (2016): Resonanz
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Ein letztes und ein erstes Mal

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Vor ungefähr drei Jahren war ich in Konstanz mit einem Problem konfrontiert, das mich hierzulande sehr wahrscheinlich nicht ereilen wird: meine Friseurin verlegte ihren Standort ins Nicht-EU-Ausland. Und stellte mich damit vor die Frage: gehst du mit? Für 37 Franken? Umgerechnet 35 € für Kontinuität auf dem Kopf. Kurzgesagt, ich war es mir wert.

Denn in einer fremden Stadt geht es beim Friseur ja nicht nur um neue Haare und alte Zöpfe. Jede Begegnung kann den Beginn einer gemeinsamen Zukunft markieren. Beim zweiten Friseurbesuch hatten wir beide schon mehr gemeinsame Geschichte als mit 99,99 % der Reststadt. Veronika, die ich bis zum Schluss siezte, war eine meiner Konstanten in Konstanz. Sie führte die Schere vor meiner Hochzeit, offenbarte wie sehr sie sich Enkel wünschte, als meine Kinder geboren wurden, und probierte so allerhand aus auf meinem Kopf.

Obwohl uns nicht wenig trennte, insbesondere Politisches und Weltanschauliches, entstand ein Vertrauensverhältnis. Pandemiebedingtes Home-Office bedeutete: acht Kilometer einfache Radelfahrt mit zwischenzeitlich unerlaubtem Grenzübertritt – und besagte 37 CHF. Angelehnt an die bekannte Haarspray-Werbung kann man sagen: die Beziehung hält. Beziehungsweise hielt.

Der Umzug nach Gundelfingen in diesem Sommer setzte dem ein Ende. Ein letztes Mal: „Wie läufts bei der Musik?“ Und: „Bei der Firma passt alles?“ „Wie geht’s den Kindern? Oder, zwei haben Sie jetzt?“ Schließlich: Leben Sie wohl, adieu coiffeur!

An dieses letzte Mal hat sich mittlerweile ein erstes Mal angeschlossen. Ein Salon mit drei Friseurinnen statt nur einer Inhaberin. Bekannte Kundschaft und mitunter gemeinsame Geschichte. Da beginnt man nicht bei null, wägt die Worte, duzt schon beim Hallo. Ist das am Ende zu vertraut für eine neue Vertrauensbeziehung?

Wollen wir die Erwartungen an ein Haarstudio mal nicht zu hoch schrauben. Aber eine Komplizin für den Kopf könnte schon gefunden sein. Diese Woche bin ich zum zweiten Mal dort.

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Ein andrer Ort

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Ob ich angekommen bin, werde ich regelmäßig gefragt, seit ich vor fast zwei Monaten wieder nach Gundelfingen gezogen bin. So richtig weiß ich darauf noch keine Antwort. Angekommen sein, wie bemerkt man das? Bestimme ich das oder andere?

Ich erlebe, dass man mich noch (er)kennt. Bei einer sonntäglichen Radtour singt mir der ehemalige Hausmeister entgegen, der mich schon als Baby durch die Sporthalle schob, während meine Eltern Handball spielten: „Nach meiner Heimat zieht’s mich wieder“ – lacht verschmitzt, grüßt vertraut. Ich recherchiere den weiteren Text dieses Liedes: „Es ist die alte Heimat noch: Dieselbe Lust, dieselben frohen Lieder“ Haha, ja, das passt. Zum Schorre und zu meinem aktuellen Erleben. Vor allem aber stimmt der darauffolgende Satz: „Und alles ist ein andrer Ort.“

Ganz besonders merke ich das, wenn ich auf die weithin sichtbaren Türme des Atomkraftwerks Gundremmingen blicke, die bei solchen Radtouren nicht selten als Orientierungshilfe dienen. Natürlich ist das noch der gleiche Ort, der gleiche Anblick, aber ich habe mich früher nie gefragt, wie es wohl ohne die Türme wäre. Von dem damit verbundenen Risiko ganz zu schweigen. Im Gegenteil – im Schulunterricht klebten wir „Atomkraft, ja bitte!“-Aufkleber. Aus jugendlicher Provokation gegenüber der Lehrkraft, die ein Pellet-Pionier war, klar. Aber ich verstehe das heute auch als Symptom einer kollektiven Verdrängung. Diesseits der Donau hatte man es mit Gefahr, statt Gewerbesteuern zu tun und musste andere Wege finden, sich mit dem Betonkoloss zu arrangieren.

Natürlich weiß ich von der Atombegeisterung und Technikgläubigkeit der Nachkriegszeit. Jonas‘ „Prinzip Verantwortung“ und Becks „Risikogesellschaft“ waren noch lange nicht geschrieben. Und der Bau wurde bereits 1962 genehmigt, also vor dem Aufkeimen von so etwas wie Protestkultur in der Bundesrepublik.

Aber was dachte die Aislingerin, was hoffte der Lauinger und wovor graute den Gundelfingern damals? Oder passierte das einfach so? Und jetzt – holen wir uns das schon zurück, den Ort, den Anblick, den Profit – und stellen riesige Tulpen oben rein, oder?

Vielleicht ist es ganz normal, dass man nicht weiß, ob man schon angekommen ist, wenn im Alten noch so viele neue Fragen sind.

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Exil-Gundelfinger

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Mehr als meterhoch türmt sich der Schnee vergangenen Winter vor diesem Haus im Schwarzwald, in dem ich das Wochenende verbringen will. Es ist ein Besuch bei einem Freund aus Heimattagen, der seit kurzem im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald lebt. Während wir im Keller zusammen musizieren, fällt mein Blick auf ein Plakat an der Wand: „25 Jahre Schnellefest“ – Juli 1996. Ich stutze. Ich staune. Da klimpern wir also im Jahre 2021 ein paar Herb Alpert Songs zwischen noch nicht ausgepackten Umzugskartons, inmitten eines Werkzeugwusts und neben einer Sauna in Einzelteilen und dieses 25 Jahre alte Plakat hängt bereits an der Wand. Ich frage mich: Was muss dieses Stück Papier für jemanden bedeuten, der zum Zeitpunkt der Veranstaltung gerade einmal elf Jahre alt war?

Mit dieser Verwunderung und Neugier gehe ich weiter durch seinen und meinen Haushalt und entdecke allerorten Spuren und Zeugnisse der Heimat: die Kaffeetasse der Lebenshilfe hier, das Bucher-Weizenglas dort, den Stoffbeutel vom Griener, T-Shirts der Sportvereine. Und auch die Autos tragen noch das bekannte dreistellige Kennzeichen. Ist das Nostalgie? Oder gar Heimatstolz?

Sicher darf man Spar- und Sorgsamkeit mit den Dingen unterstellen, die unseren Alltag begleiten – schwäbische Tugenden eben. Allerdings erklärt das nicht die Rolle dieses Schnellefest-Plakates, das mich so in seinen Bann gezogen hat. Diese Heimaterinnerungen müssen auch Anker in der Fremde sein, können im Rückblick Sicherheit und Stabilität vermitteln und mitunter auch emotionale Erinnerungen wachrufen.

In diesen Tagen hätten wir normalerweise das 50. Schnellefest feiern können. Da wären Gespräche mit den Musikerinnen und Musikern, von denen ja auch nicht wenige für das Engagement im Verein zurückpendeln, über ihre Verbindungen und Haltepunkte möglich gewesen. Leider war das pandemie-bedingt nicht möglich.

Also muss ich diese Gedanken vorerst mit meinem Freund im Schwarzwald teilen, mit dem ich mir in diesem Winter die dicken Jacken der Firma Gartner überstreifte, um uns einen Weg durch die weiße Pracht zum Kompost zu graben.

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Zwischen Weisinger und Überlinger See

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Seit gut drei Monaten fahre ich nun zweigleisig, halbiere meine Aufmerksamkeit, verdopple die Ausgaben für Lokalinformationen. Am Frühstückstisch pendle ich zwischen Weisinger und Überlinger See, überbrücke die Entfernung vom GVD-Areal in Dillingen zum Grenzbachareal in Konstanz. Ich verfolge Gesellschaft und Politik, Sport und Vermischtes, hier wie dort. Weil ich hier in Konstanz Vorsitzender eines Kulturvereins bin und wissen muss, worüber die Lokalzeitung SÜDKURIER berichtet. Und weil ich in der Donau-Zeitung erfahren will, was mich im Landkreis Dillingen erwartet, in den ich bald zurückziehen werde.

Gerade denke ich oft an die Zeit, als ich in Konstanz für meine Ideen von Projekt Agora, einem Zentrum für Soziokultur und Innovation, zu werben begann. Anfang 2016 will ich herausfinden, wer das Feld „Soziokultur“ bereits beackert und welche Stimmen oder Gruppen in der Öffentlichkeit Gewicht haben. Ich mache mich auf die Suche nach Kooperationen, Unterstützung und Feedback.

Schnell stelle ich fest, dass es neben dem SÜDKURIER noch weitere relevante Öffentlichkeiten gibt. Einige Gemeinderät*innen, der Oberbürgermeister selbst – und die Fraktionen sowieso – sind auf Twitter aktiv. Soziale und kulturelle Initiativen und Institutionen haben so gut wie immer einen Auftritt in sozialen Netzwerken. Das erleichtert Recherchen und Kontaktaufnahmen, gibt mitunter schon sehr plastische Eindrücke und macht nicht zuletzt auch Netzwerke sichtbar: wer folgt wem? Wer teilt was? Wie wird wer zitiert?

Der Gundelfinger Stadtrat ist jünger als das Konstanzer Pendant. Bis auf einen sind alle Bürgermeister*innen der Landkreisstädte jünger als der OB vom See. Trotzdem finde ich dort kaum Positionierungen und Austausch über Social Media. Natürlich gibt es Kultur und Soziales im Netz, aber auch hier sind die Interaktionen verhalten.

Wenn es schon nicht am Alter zu liegen scheint, könnte es dann am Publikum liegen? Ist die Badenerin weniger reserviert für öffentlichen Austausch? Gibt’s im Landkreis zu wenig ÖPNV, während dessen Benutzung man durch die Timeline wischen könnte? Oder hat der Schwabe einfach mehr zum „Schaffa“ als die Studierenden, deren Anteil fast 20% der Konstanzer Bevölkerung ausmacht?

Über welche Kanäle ich meine Ideen von Innovation und Kultur ausspielen sollte, um möglichst Viele, mindestens aber die Richtigen, zu erreichen, frage ich unsere 20 Jahre alte Grafikdesignerin aus Gundelfingen: „Wahrscheinlich liest’s Oma in der Donau-Zeitung und sagt’s mir dann.“

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Nochmal neu im Alten anfangen

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„Abnabeln“ ist ja meist ein recht einschneidendes und vor allem punktuelles Ereignis. So kann man meinen Fortgang aus dem Landkreis Dillingen sicher nicht beschreiben. Es war ein Abschied auf Raten nach meinem Zivildienst in der Lauinger Elisabethenstiftung 2007. In den ersten Semestern meines Studiums in München bildeten immer noch die Jugendliebe, der Handballverein und die Band mein Gravitationszentrum, das mich stets zuverlässig in den Landkreis Dillingen zog. Das sollte sich mit dem Ende des Studiums, das ich zeitgleich mit meiner Jugendliebe abschloss, ändern.

Wir zogen nach Konstanz und die Anziehungskraft ließ mit größer werdender Entfernung nach. (Ich grüße an dieser Stelle erst- und einmalig meine ehemaligen Physiklehrer am Sailer-Gymnasium, die mir dieses Sprachbild seinerzeit sicher nicht zugetraut hätten). Die Jugendliebe wurde meine Ehefrau und spätestens mit der Geburt unserer Kinder am Bodensee entwickelt sich ein ganz neuer Anziehungspunkt mit Gewicht. (Ja, Herr Möller, es müsste „Masse“ heißen, nicht Gewicht, aber das funktioniert sprachlich halt nicht).

Unser Leben in Südbaden hat nur noch wenig mit dem Alltag oder den Beziehungen in Nordschwaben zu tun, obwohl ich in Vollzeit für das Gundelfinger Familienunternehmen arbeite. Klar, die obligatorischen Hochzeiten, Weihnachten, runde Geburtstage, wenn nicht gerade Pandemie ist, ziehen uns zurück. Aber Konstanz gibt uns die Chance uns neu zu (er)finden. Und das tun wir. Wir schließen uns politischen, sozialen und ökologischen Initiativen und Vereinen an. Wir verfolgen unseren Traum vom eigenen Kulturzentrum und versuchen uns selbst als Künstler, als ein Krankenhaus vor dem Abriss noch einen letzten Auftritt bekommt. Ich gründe einen Kulturverein, organisiere einen Pop-up Space, mache Veranstaltungen zum Thema „Soziales Unternehmertum“.

Als der Traum vom eigenen Kulturzentrum schließlich doch platzt, ziehen wir gerade innerhalb der Stadt um und die Pandemie in Deutschland ein. Die neue Erdgeschosswohnung mit Garten hilft, die Herausforderungen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu bewältigen. Sie zeigt uns aber auch, wie sehr wir die Lebensform unserer Kindheiten in Kicklingen und Gundelfingen schätzen. Ein eigener Garten, nah an Wald und Flur. Für 80 € pro Monat mieten wir sogar eine Garage dazu.

Aus mehrerlei Gründen, die noch Gegenstand dieser Kolumne sein werden, beschließen wir Ende 2020, den Bodenseenebel gegen den Nebel der Donauauen zu tauschen. Dass wir nicht die Einzigen mit dieser Idee sind, sehen wir in der Presse und auf dem unentspannter werdenden Immobilienmarkt. Sei‘s drum, wir kommen! Handeln statt Hadern, lautet jetzt die Devise. Das Familienunternehmen bietet die Chance meine Vorstellungen von mehr sozialer Nachhaltigkeit und integrierter Kultur im Kleinen umzusetzen und das Lebenswerk des Vaters fortzuführen.

Diese Kolumne schreibe ich aus der Perspektive eines Wiederkehrers, der seine persönlichen Erinnerungen mit den Erfahrungen aus der Fremde kombinieren und die Besonderheiten des Landkreises neu entdecken will. „Annabeln“, kann das gelingen? Was erwartet uns „zuhause“? Und wie erwartet es uns? Sind die Sportvereine noch so attraktiv wie damals? Wovon werden wir Abschied nehmen müssen? Neben allen offenen Fragen steht eines aber jetzt schon fest: die Jugendliebe kommt mit.