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Kolumne: "Coming Home"

Zwischen Weisinger und Überlinger See

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Seit gut drei Monaten fahre ich nun zweigleisig, halbiere meine Aufmerksamkeit, verdopple die Ausgaben für Lokalinformationen. Am Frühstückstisch pendle ich zwischen Weisinger und Überlinger See, überbrücke die Entfernung vom GVD-Areal in Dillingen zum Grenzbachareal in Konstanz. Ich verfolge Gesellschaft und Politik, Sport und Vermischtes, hier wie dort. Weil ich hier in Konstanz Vorsitzender eines Kulturvereins bin und wissen muss, worüber die Lokalzeitung SÜDKURIER berichtet. Und weil ich in der Donau-Zeitung erfahren will, was mich im Landkreis Dillingen erwartet, in den ich bald zurückziehen werde.

Gerade denke ich oft an die Zeit, als ich in Konstanz für meine Ideen von Projekt Agora, einem Zentrum für Soziokultur und Innovation, zu werben begann. Anfang 2016 will ich herausfinden, wer das Feld „Soziokultur“ bereits beackert und welche Stimmen oder Gruppen in der Öffentlichkeit Gewicht haben. Ich mache mich auf die Suche nach Kooperationen, Unterstützung und Feedback.

Schnell stelle ich fest, dass es neben dem SÜDKURIER noch weitere relevante Öffentlichkeiten gibt. Einige Gemeinderät*innen, der Oberbürgermeister selbst – und die Fraktionen sowieso – sind auf Twitter aktiv. Soziale und kulturelle Initiativen und Institutionen haben so gut wie immer einen Auftritt in sozialen Netzwerken. Das erleichtert Recherchen und Kontaktaufnahmen, gibt mitunter schon sehr plastische Eindrücke und macht nicht zuletzt auch Netzwerke sichtbar: wer folgt wem? Wer teilt was? Wie wird wer zitiert?

Der Gundelfinger Stadtrat ist jünger als das Konstanzer Pendant. Bis auf einen sind alle Bürgermeister*innen der Landkreisstädte jünger als der OB vom See. Trotzdem finde ich dort kaum Positionierungen und Austausch über Social Media. Natürlich gibt es Kultur und Soziales im Netz, aber auch hier sind die Interaktionen verhalten.

Wenn es schon nicht am Alter zu liegen scheint, könnte es dann am Publikum liegen? Ist die Badenerin weniger reserviert für öffentlichen Austausch? Gibt’s im Landkreis zu wenig ÖPNV, während dessen Benutzung man durch die Timeline wischen könnte? Oder hat der Schwabe einfach mehr zum „Schaffa“ als die Studierenden, deren Anteil fast 20% der Konstanzer Bevölkerung ausmacht?

Über welche Kanäle ich meine Ideen von Innovation und Kultur ausspielen sollte, um möglichst Viele, mindestens aber die Richtigen, zu erreichen, frage ich unsere 20 Jahre alte Grafikdesignerin aus Gundelfingen: „Wahrscheinlich liest’s Oma in der Donau-Zeitung und sagt’s mir dann.“

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Kolumne: "Coming Home"

Nochmal neu im Alten anfangen

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„Abnabeln“ ist ja meist ein recht einschneidendes und vor allem punktuelles Ereignis. So kann man meinen Fortgang aus dem Landkreis Dillingen sicher nicht beschreiben. Es war ein Abschied auf Raten nach meinem Zivildienst in der Lauinger Elisabethenstiftung 2007. In den ersten Semestern meines Studiums in München bildeten immer noch die Jugendliebe, der Handballverein und die Band mein Gravitationszentrum, das mich stets zuverlässig in den Landkreis Dillingen zog. Das sollte sich mit dem Ende des Studiums, das ich zeitgleich mit meiner Jugendliebe abschloss, ändern.

Wir zogen nach Konstanz und die Anziehungskraft ließ mit größer werdender Entfernung nach. (Ich grüße an dieser Stelle erst- und einmalig meine ehemaligen Physiklehrer am Sailer-Gymnasium, die mir dieses Sprachbild seinerzeit sicher nicht zugetraut hätten). Die Jugendliebe wurde meine Ehefrau und spätestens mit der Geburt unserer Kinder am Bodensee entwickelt sich ein ganz neuer Anziehungspunkt mit Gewicht. (Ja, Herr Möller, es müsste „Masse“ heißen, nicht Gewicht, aber das funktioniert sprachlich halt nicht).

Unser Leben in Südbaden hat nur noch wenig mit dem Alltag oder den Beziehungen in Nordschwaben zu tun, obwohl ich in Vollzeit für das Gundelfinger Familienunternehmen arbeite. Klar, die obligatorischen Hochzeiten, Weihnachten, runde Geburtstage, wenn nicht gerade Pandemie ist, ziehen uns zurück. Aber Konstanz gibt uns die Chance uns neu zu (er)finden. Und das tun wir. Wir schließen uns politischen, sozialen und ökologischen Initiativen und Vereinen an. Wir verfolgen unseren Traum vom eigenen Kulturzentrum und versuchen uns selbst als Künstler, als ein Krankenhaus vor dem Abriss noch einen letzten Auftritt bekommt. Ich gründe einen Kulturverein, organisiere einen Pop-up Space, mache Veranstaltungen zum Thema „Soziales Unternehmertum“.

Als der Traum vom eigenen Kulturzentrum schließlich doch platzt, ziehen wir gerade innerhalb der Stadt um und die Pandemie in Deutschland ein. Die neue Erdgeschosswohnung mit Garten hilft, die Herausforderungen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu bewältigen. Sie zeigt uns aber auch, wie sehr wir die Lebensform unserer Kindheiten in Kicklingen und Gundelfingen schätzen. Ein eigener Garten, nah an Wald und Flur. Für 80 € pro Monat mieten wir sogar eine Garage dazu.

Aus mehrerlei Gründen, die noch Gegenstand dieser Kolumne sein werden, beschließen wir Ende 2020, den Bodenseenebel gegen den Nebel der Donauauen zu tauschen. Dass wir nicht die Einzigen mit dieser Idee sind, sehen wir in der Presse und auf dem unentspannter werdenden Immobilienmarkt. Sei‘s drum, wir kommen! Handeln statt Hadern, lautet jetzt die Devise. Das Familienunternehmen bietet die Chance meine Vorstellungen von mehr sozialer Nachhaltigkeit und integrierter Kultur im Kleinen umzusetzen und das Lebenswerk des Vaters fortzuführen.

Diese Kolumne schreibe ich aus der Perspektive eines Wiederkehrers, der seine persönlichen Erinnerungen mit den Erfahrungen aus der Fremde kombinieren und die Besonderheiten des Landkreises neu entdecken will. „Annabeln“, kann das gelingen? Was erwartet uns „zuhause“? Und wie erwartet es uns? Sind die Sportvereine noch so attraktiv wie damals? Wovon werden wir Abschied nehmen müssen? Neben allen offenen Fragen steht eines aber jetzt schon fest: die Jugendliebe kommt mit.