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Kolumne: "Coming Home"

Von Treibhaus und Treibstoff

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„Was würdest du tun, wenn du einen Raum hättest?“, fragten wir vor zwei Jahren die Bürgerinnen und Bürger in Konstanz und Umgebung. Als kleine Gruppe von Idealisten und Pragmatikerinnen hatten wir uns den ersten „Pop-up Space“ in der größten Stadt am Bodensee in den Kopf gesetzt. Beinahe bedingungslosen Freiraum für Kunst, Hobbies, Start-ups, Gemeinschaft und vieles, vieles mehr anzubieten, war unser Ziel. Auf 1.000 Quadratmeter in einem leerstehenden Bürogebäude konnten wir diese Idee schließlich vier Monate lang umsetzen.

Neben zwölf dauerhaft genutzten Räumen gab es im „Treibhaus“ zahlreiche Workshops, Filmvorführungen, Diskussionen, Versammlungen von politischen Parteien und Initiativen, Konzerte, Lesungen, Yogastunden sowie Foto- und Gemäldeausstellungen. Es war ein großartiges Gewusel und eine immerwährende Improvisation. Ich zehre bis heute von diesen Erfahrungen und Erlebnissen, die sich ergaben, weil man Mangelware niederschwellig zur Verfügung stellte: Fläche, um sich persönlich und gemeinschaftlich auszudrücken und auszuprobieren.

„Was würdest du tun, wenn du einen Raum hättest?“, klänge in Dillinger Ohren, wenn nicht absurd, so doch weit weniger anziehend als im urbanen Raum, denke ich mir heute, wenn ich mich frage, wie man schlummernde Leidenschaften in meiner neuen alten Heimat wecken könnte. Raum und Räume haben wir hier ja mehr als genug. Was wäre also eine äquivalente Frage für uns Landbewohner? „Was würdest du tun, wenn ein Theater mit dem Fahrrad erreichbar wäre?“ „Was würdest du tun, wenn es in deinem Ort eine Sterneküche gäbe?“ „Was würdest du tun, wenn es einen ÖPNV gäbe?“ 😉

Das ist natürlich arg von der Stadt her gedacht. Deshalb versuche ich es etwas introspektiver: Wenn ich beobachte, wonach sich das Ländliche sehnt, fallen mir aktuell zunächst Glasfaseranbindung und niedrige Spritpreise ein.

Was auf den ersten Blick so unterschiedlich scheint – Kultur und Mobilität – hat ein gemeinsames Drittes:  diese Dinge bringen „Welt“ in Reichweite, können uns in eine Beziehung zur Welt stellen, die der Soziologe Hartmut Rosa eine „sprechende“ nennt, wenn es sich um „Resonanz“ handelt. Darum geht es also.

Mit Glasfaser, Streaming und Online-Shopping kann man in Bezug auf kulturelle und kulinarische Resonanzerlebnisse auf dem Land schon sehr weit kommen. Für die echte Begegnung, das sinnenvolle Miteinander, das hier in Vereinen so wunderbar gepflegt wird, braucht man aber – bis es einen echten ÖPNV gibt – den günstigen Treibstoff.

Beitragsbild: © Ramona Gastl – Film and Photography im Treibhaus/Konstanz bei der Vernissage von Hanna Bayer und Julian Klein. >> Mehr Bilder

Literaturtipp:

Hartmut Rosa (2016): Resonanz
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Kolumne: "Coming Home"

Ein letztes und ein erstes Mal

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Vor ungefähr drei Jahren war ich in Konstanz mit einem Problem konfrontiert, das mich hierzulande sehr wahrscheinlich nicht ereilen wird: meine Friseurin verlegte ihren Standort ins Nicht-EU-Ausland. Und stellte mich damit vor die Frage: gehst du mit? Für 37 Franken? Umgerechnet 35 € für Kontinuität auf dem Kopf. Kurzgesagt, ich war es mir wert.

Denn in einer fremden Stadt geht es beim Friseur ja nicht nur um neue Haare und alte Zöpfe. Jede Begegnung kann den Beginn einer gemeinsamen Zukunft markieren. Beim zweiten Friseurbesuch hatten wir beide schon mehr gemeinsame Geschichte als mit 99,99 % der Reststadt. Veronika, die ich bis zum Schluss siezte, war eine meiner Konstanten in Konstanz. Sie führte die Schere vor meiner Hochzeit, offenbarte wie sehr sie sich Enkel wünschte, als meine Kinder geboren wurden, und probierte so allerhand aus auf meinem Kopf.

Obwohl uns nicht wenig trennte, insbesondere Politisches und Weltanschauliches, entstand ein Vertrauensverhältnis. Pandemiebedingtes Home-Office bedeutete: acht Kilometer einfache Radelfahrt mit zwischenzeitlich unerlaubtem Grenzübertritt – und besagte 37 CHF. Angelehnt an die bekannte Haarspray-Werbung kann man sagen: die Beziehung hält. Beziehungsweise hielt.

Der Umzug nach Gundelfingen in diesem Sommer setzte dem ein Ende. Ein letztes Mal: „Wie läufts bei der Musik?“ Und: „Bei der Firma passt alles?“ „Wie geht’s den Kindern? Oder, zwei haben Sie jetzt?“ Schließlich: Leben Sie wohl, adieu coiffeur!

An dieses letzte Mal hat sich mittlerweile ein erstes Mal angeschlossen. Ein Salon mit drei Friseurinnen statt nur einer Inhaberin. Bekannte Kundschaft und mitunter gemeinsame Geschichte. Da beginnt man nicht bei null, wägt die Worte, duzt schon beim Hallo. Ist das am Ende zu vertraut für eine neue Vertrauensbeziehung?

Wollen wir die Erwartungen an ein Haarstudio mal nicht zu hoch schrauben. Aber eine Komplizin für den Kopf könnte schon gefunden sein. Diese Woche bin ich zum zweiten Mal dort.

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Kolumne: "Coming Home"

Nochmal neu im Alten anfangen

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„Abnabeln“ ist ja meist ein recht einschneidendes und vor allem punktuelles Ereignis. So kann man meinen Fortgang aus dem Landkreis Dillingen sicher nicht beschreiben. Es war ein Abschied auf Raten nach meinem Zivildienst in der Lauinger Elisabethenstiftung 2007. In den ersten Semestern meines Studiums in München bildeten immer noch die Jugendliebe, der Handballverein und die Band mein Gravitationszentrum, das mich stets zuverlässig in den Landkreis Dillingen zog. Das sollte sich mit dem Ende des Studiums, das ich zeitgleich mit meiner Jugendliebe abschloss, ändern.

Wir zogen nach Konstanz und die Anziehungskraft ließ mit größer werdender Entfernung nach. (Ich grüße an dieser Stelle erst- und einmalig meine ehemaligen Physiklehrer am Sailer-Gymnasium, die mir dieses Sprachbild seinerzeit sicher nicht zugetraut hätten). Die Jugendliebe wurde meine Ehefrau und spätestens mit der Geburt unserer Kinder am Bodensee entwickelt sich ein ganz neuer Anziehungspunkt mit Gewicht. (Ja, Herr Möller, es müsste „Masse“ heißen, nicht Gewicht, aber das funktioniert sprachlich halt nicht).

Unser Leben in Südbaden hat nur noch wenig mit dem Alltag oder den Beziehungen in Nordschwaben zu tun, obwohl ich in Vollzeit für das Gundelfinger Familienunternehmen arbeite. Klar, die obligatorischen Hochzeiten, Weihnachten, runde Geburtstage, wenn nicht gerade Pandemie ist, ziehen uns zurück. Aber Konstanz gibt uns die Chance uns neu zu (er)finden. Und das tun wir. Wir schließen uns politischen, sozialen und ökologischen Initiativen und Vereinen an. Wir verfolgen unseren Traum vom eigenen Kulturzentrum und versuchen uns selbst als Künstler, als ein Krankenhaus vor dem Abriss noch einen letzten Auftritt bekommt. Ich gründe einen Kulturverein, organisiere einen Pop-up Space, mache Veranstaltungen zum Thema „Soziales Unternehmertum“.

Als der Traum vom eigenen Kulturzentrum schließlich doch platzt, ziehen wir gerade innerhalb der Stadt um und die Pandemie in Deutschland ein. Die neue Erdgeschosswohnung mit Garten hilft, die Herausforderungen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu bewältigen. Sie zeigt uns aber auch, wie sehr wir die Lebensform unserer Kindheiten in Kicklingen und Gundelfingen schätzen. Ein eigener Garten, nah an Wald und Flur. Für 80 € pro Monat mieten wir sogar eine Garage dazu.

Aus mehrerlei Gründen, die noch Gegenstand dieser Kolumne sein werden, beschließen wir Ende 2020, den Bodenseenebel gegen den Nebel der Donauauen zu tauschen. Dass wir nicht die Einzigen mit dieser Idee sind, sehen wir in der Presse und auf dem unentspannter werdenden Immobilienmarkt. Sei‘s drum, wir kommen! Handeln statt Hadern, lautet jetzt die Devise. Das Familienunternehmen bietet die Chance meine Vorstellungen von mehr sozialer Nachhaltigkeit und integrierter Kultur im Kleinen umzusetzen und das Lebenswerk des Vaters fortzuführen.

Diese Kolumne schreibe ich aus der Perspektive eines Wiederkehrers, der seine persönlichen Erinnerungen mit den Erfahrungen aus der Fremde kombinieren und die Besonderheiten des Landkreises neu entdecken will. „Annabeln“, kann das gelingen? Was erwartet uns „zuhause“? Und wie erwartet es uns? Sind die Sportvereine noch so attraktiv wie damals? Wovon werden wir Abschied nehmen müssen? Neben allen offenen Fragen steht eines aber jetzt schon fest: die Jugendliebe kommt mit.

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Kulturprojekte

Am Arsch der Heide

Am Montag um 10:01 Uhr lerne ich Veronika Fischer am Telefon kennen. Sie meint, wir könnten im Rahmen des Hackathons am darauffolgenden Samstag einige lokale Autor*innen präsentieren. Nicht mal 100 Stunden später ist unser 40-minütiges Video fertig. Eine Geschichte mit viel Tempo und Temperament.

Veronika ist in der Kulturszene dies- und jenseits der Grenze zur Schweiz gut vernetzt und hat schon am Montagnachmittag die Texte von acht lokalen Autor*innen beisammen.

Am Dienstag ist klar, dass Tomasz Robak lesen, aber keine Zeit für ein Live-Event haben wird. Wir brauchen also eine Aufzeichnung. Ein Filmteam haben wir nicht.

Am Mittwoch suchen wir, d.h. Veronika und ich, einen geeigneten Drehort aus. Ich habe nämlich Blut geleckt an der Aktion und will sehr gerne die Videoproduktion übernehmen (das mache ich zwar sehr selten, aber mit viel Leidenschaft). Der einzig freie Drehtermin ist Donnerstag zwischen 8:30 Uhr und 9:45 Uhr, um ca. 40 Minuten Video zu erstellen.

Am nächsten Tag drücke ich um kurz nach 9 auf die Auslöser. Um 10 Uhr bin ich pünktlich in meinem Geschäftsmeeting. Die folgenden beiden Nächte editiere und schneide ich. 

Samstag früh um 4 Uhr ist das Video gerendert und verfügbar. Die Premiere beim Hackathon am Abend glückt. 

Es war ein wunderbar spontanes, leidenschaftlich ernsthaftes, selig machendes Kunstprojekt. Gerne mehr davon!

Hier ist das Ergebnis:

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Kulturprojekte

Liebesgrüße aus Konstanz

Zusammen mit dem Serviceclub Soroptimist International stellte der Konstanzer Spotlight Chor zwei Benefizkonzerte auf die Beine. Im Theater Konstanz gab man eine Revue aus allen James Bond Titelsongs zum Besten. Neben den Sängerinnen und Sängern waren auch das Salonorchester Da Capo, ein Show-Tanzpaar, Pole Fitness, eine Seilartistin und zwei Konstanzer Parkourläufer verantwortlich für: Liebesgrüße aus Konstanz.

Es war eine großartige Gemeinschaftsleistung aus Profis und Amateuren. Mit ganz viel Feuer, Hingabe und Leidenschaft. Ein Herzensprojekt von Konstanzern für Konstanzer.

Neben meiner Tätigkeit als Musical Director war ich auch für große Teile der Bewerbung und Vermarktung der beiden Benefizkonzerte zuständig.

Die komplette Agenturleistung für Beratung und Gestaltung sponsorten übrigens die phantastischen Red Monkeys aus Konstanz.

Am Ende konnte eine Spende des Soroptimist International Club Konstanz an die Brückenpflege e.V. in Höhe von 20.000 € realisiert werden.

Mehr Infos zur Brückenpflege und wie sie weiter unterstützt werden kann: www.glkn.de/glkn/standorte/klinikum-konstanz/nichtmedizinische-bereiche/brueckenpflege/brueckenpflege-start.php

Solistin Ony Heckmann und Solist Justin Hayo
Kostümwechsel die Dritte
Gesamtleiter Gary Peinke bedankt sich mit sehr persönlichen Worten bei allen Beteiligten

Mehr Informationen zu meiner Tätigkeit als Musikalischer Leiter.